
Krieg der Daten
Marketing und Big Data
Marketing und Daten haben eine gemeinsame Geschichte. Dies behauptet auch der Wirtschaftswissenschaftler und Marketing-Pionier Prof. Philip Kotler (*1931, Chicago) mit seinem berühmten Zitat: Marketing is becoming a battle based on information than on sales power. Doch was genau steckt nun hinter dieser Aussage? Was hat Marketing mit Big Data zu tun?
Seit Daten im großen Stil, meist via Social Media und unsere geliebten Smartphones, gesammelt werden, wurden unzählige Nutzungsmöglichkeiten entdeckt. Die persönlichen Daten von Nutzern wurden über Staaten hinweg weiterverkauft und für Überwachungszwecke verwendet, sie fanden Anwendung im Training von künstlicher Intelligenz und sie wurden für zielgerichtete Wahlwerbung eingesetzt. Die angebliche Manipulation von US-Wählern durch zielgerichtete Wahlwerbung, welche Donald Trump zu seinem Wahlsieg verholfen haben soll, ist heute das prominenteste Beispiel von gezieltem Marketing. Es kam zu einem großen Aufschrei von Medien, die Russen hätten den Präsidenten ausgewählt und nicht die Amerikaner, man fühlte sich betrogen und manipuliert!
Aber ist Marketing nicht immer schon nichts anderes als Manipulation? Was ist in diesem Fall anders? Anders ist zum einen die subtile Art der Manipulation, zum anderen wurde nicht Werbung gemacht, um Werbung zu machen, aber die Einzelperson wurde ganz gezielt manipuliert. Dies gelingt natürlich nur, wenn ich genug über diese Person weiß und hier liegt der entscheidende Knackpunkt! Erstmals sind solche detaillierten, personenspezifischen Informationen verfügbar, dies birgt Gefahren und Chancen!
Ausflug in die Psychologie
Auf welche Art konnte sich Trump nun mit Hilfe von Cambridge Analytica die personenspezifischen Daten seiner Wähler*innen zu Nutze machen? Ein wichtiges Schlagwort aus der Psychologie ist hier Big Five. Psycholog*innen fanden heraus, dass sich anhand weniger Daten zu einer Person erschließen lässt, welches Persönlichkeitsprofil diese Person wahrscheinlich aufweist. Die Persönlichkeit wird in der Psychologie oft anhand der fünf klassischen Persönlichkeitsdimensionen Offenheit, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus erfasst.
Lange hatte man in der Psychologie eine unüberschaubare Anzahl an verschiedenen Modellen zur Beschreibung der Persönlichkeit. Die Big Five konnten sich schließlich in den 80er Jahren durchsetzen und gelten immer noch als Standard[1].
Zunächst wurden mittels lexikalischem Ansatz 18.000 emotionale Begriffe in der englischen Sprache identifiziert, schließlich wurden diese mit der Berechnung einer Faktorenanalyse auf fünf entscheidende Merkmale reduziert.
Cambridge Analytica stützte sich eben auf diese Big Five und passte die Wahlwerbung dementsprechend an. Ob dies tatsächlich zu Trumps umstrittenen Wahlsieg führte, bleibt jedoch unklar. Genial bleibt jedoch der Geniestreich wissenschaftliche Erkenntnisse, etwa aus der Psychologie, mit neuen Methoden wie dem Data Mining für Marketing direkt nutzbar zu machen.
Diese Unmengen an Daten stellt eine brachliegende Chance dar! Was bedeutet es für das Marketing, wenn wir anhand dieser Daten tatsächlich die Persönlichkeitsprofile der potentiellen Käufer*innen und Kund*innen ableiten können? Und was lässt sich noch alles ableiten? Tatsächlich allerhand!

Wir hinterlassen tagtäglich unzählige sogenannter digitaler Footprints. Laut dem Psychologen Dr. Michal Kosinski werden global betrachtet 500 MB Daten pro Person täglich in Form digitaler Footprints hinterlassen! Vielleicht könnte man sich jetzt denken, naja, eigentlich habe ich ja nichts zu verbergen und es ist mir egal, wenn jeder weiß, welche Songs ich gerne höre oder wie viele Facebook-Freunde ich habe. Problematisch wird es aber, wenn es um Sekundärdaten geht, die Art von Information für die sich Facebook & Co eigentlich interessieren. Diese bezeichnen wesentlich persönlichere Merkmale, welche sich aus auf den ersten Blick unwichtigen Informationen wie etwa Songwahl, gegoogelten Begriffe, etc. ableiten lassen, mit einer gewissen Fehlervarianz selbstverständlich, aber dennoch exakt genug um Massen gezielt zu manipulieren. Soweit die Theorie. Eine Studie der Universität von Cambridge veranschaulichte dies anhand von Facebook-Daten, in erster Linie Likes der Personen. Die unbedacht abgegebenen Likes ließen den Schluss auf persönliche Details wie Beziehungsstatus, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, politische Gesinnung, Religion oder sogar Persönlichkeitsmerkmale zu. Und dies mit beachtlicher Genauigkeit!
Nicht ohne Grund sind neue Tools zur Datenanalyse in „smarten“ Unternehmen wie Google & Co längst state of the art.
Zum Abschluss noch ein kritischer Blick auf Big Data
Mathematiker Gerd Antes ist ein Großer Gegner des Einsatzes von Big Data in der Medizin. Er befürchtet verheerende Folgen im Gesundheitsbereich im Falle einer fehlerhaften Anwendung. Big Data beinhaltet für ihn auch die Möglichkeit Big Errors zu begehen. Im Gegensatz zu personalisierter Werbung, welche für ein Unternehmen wünschenswerte Effekte erzielt, sollte man im Medizinsektor jeden Fall einzeln genauer betrachten.
Was in der Medizin zu schlimmen Fehlern führt, könnte im Marketing einen großen Benefit bringen! Hier ist es auch weniger schlimm jemanden falsch einzuschätzen, ein bisschen Schwund tut hier nicht weh, so lange eine große Masse erreicht wird!
Zudem warnt Antes vor einem »Datenrausch« und der zunehmenden Annahme Korrelation wäre gleichzusetzen mit Kausalität. Hier sei Vorsicht bei der Interpretation von Datenanalysen geboten. In der medizinischen Forschung müssen randomisierte kontrollierte klinische Studien der Goldstandard bleiben, d.h. erst Hypothesen generieren und mit wissenschaftlicher Methodik untersuchen und nicht große Datenmengen durchforsten und daraus direkt Schlüsse ziehen. Dieses vermehrt explorative Vorgehen könnte vermehrt Scheinkorrelationen hervorbringen und Quantität gegenüber Qualität von Daten bevorzugen.
Fazit
Jede Branche erfordert also einen etwas anderen Blickwinkel auf Big Data. Während in der Medizin Vorsicht geboten ist, stellt Big Data für das Marketing eine große Chance dar. Denn wem verkauft man einfacher sein Produkt? Einer Person oder einem 20-jährigen, politisch-links-orientierten, österreichischen, hetero-sexuellem, umweltbewussten Single-Mann?
[1] Costa Jr, P. T., & McCrae, R. R. (1987). Personality assessment in psychosomatic medicine. Advances in psychosomatic medicine, 17, 71-82.