Eine Extremsituation ist eine außergewöhnlich belastende Situation, die eine besondere Herausforderung darstellt. Mit den richtigen Konzepten können diese effizient gemeistert werden.

HIS-Experte Stefan Märzinger und Geschäftsführer Dominik Mimra erklären im Video, wie man sich verhalten sollte, wenn es drauf ankommt.

In unserem Alltag und in unserer Arbeitswelt sind wir laufend mit Situationen konfrontiert, die uns zu Handlung und Entscheidungen fordern. Wir verfügen dazu über persönliche und soziale Ressourcen, die uns schützen und uns trotz Stressoren handlungsfähig sein lassen. Was aber, wenn wir von Extremsituationen überfordert werden? Dann kann es passieren, dass diese angeeigneten Schutzmechanismen und Handlungskompetenzen nicht mehr ausreichend Problemlösungspotential bereitstellen.

Piloten sind  besonders geschult, mit Extremsituationen kompetent umzugehen. Im Flugzeugcockpit ist das in bestimmten Fällen überlebenswichtig.   

»Um Extremsituationen durchzustehen, muss man kein Übermensch sein. Das Wesentliche ist die innere Haltung.« 

Tatsächlich werden Piloten in einem Auswahlverfahren gründlich auf verschiedene Charaktereigenschaften getestet. Aus diesen lassen sich auch einfache Grundregeln ableiten:

Plane und sei vorbereitet!

Bevor Piloten den Flug überhaupt antreten, sind sie bereits sehr genau auf ihn vorbereitet. Sie sind über die Wetterbedingungen, die Flugroute und spezielle Bedingungen (geographisch, politisch etc.), das zu erwartende Verkehrsaufkommen oder Besonderheiten, die Passagiere und Fracht betreffen, informiert. Dies sind fixe Bestandteile des Briefings, um Überraschungspotentiale zu minimieren.

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Niemals aufgeben!

Eine wesentliche Grundregel in Extremsituationen lautet, niemals aufzugeben. Man kann dies auch anders formulieren: Nie die Kontrolle abgeben! Ganz egal, wie meine Chancen zu stehen scheinen: Aufgeben reduziert meine Chancen garantiert auf null.

Nicht reagieren, sondern handeln!

Eine Reaktion ist ein von unbewussten Prozessen gesteuertes, reflexartiges Verhalten, welches stark durch internalisierte Vorurteile und Gefühle geleitet wird. Eine Reaktion läuft dem Geschehen immer hinterher. Die Konsequenz daraus ist der Kontrollverlust. Eine Handlung, im Gegensatz, ist bewusst und berücksichtigt den Kontext sowie dessen Auswirkungen. Durch das bewusste »nach vorne denken«, also dem Bemühen, dem Geschehen vorauszueilen und einer bewussten Analyse der Situation und deren Handlungsmöglichkeiten, gelingt es, wieder Kontrolle über die Situation zu erlangen.

Effektive Kommunikation

Klare Worte oder gar nur einzelne Zeichen können ausreichend sein. Wir konzentrieren uns in Extremsituation auf das Wesentliche. So werden zeitliche Ressourcen gespart und das Potential für Missverständnisse reduziert. In Extremsituationen sind wir meistens nur mit einer reduzierten Zeitreserve ausgestattet und es gilt umso mehr, effektiv zu kommunizieren. 

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Regeln einhalten

»Regeln sind dazu da, eingehalten zu werden.«  Was wir im Alltag eher als Floskel auslegen, empfinden wir dann eher auch als Mittel für Strenge und Dominanz. In einem Cockpit hat diese Regel allerdings große Relevanz. Erfahrung und Routine sind keine Ausrede, um Regeln zu ignorieren oder zu umgehen. Extremsituationen sind der richtige Zeitpunkt, um Regeln zu befolgen. Diese ermöglichen es mir, effizient durch die Extremsituation zu steuern.

Nun sitzen aber die wenigsten von uns in einem Cockpit, und als Passagier möchte man mit diesem Thema schon gar nicht in Berührung kommen. Im Laufe unseres Lebens werden wir immer wieder mit Extremsituationen konfrontiert, die uns genauso wie den Piloten in die Lage bringen, eine bestimmte außergewöhnliche Herausforderung meistern zu müssen:

  • Mein Kind hat sich schwer verletzt.
  • Ich gerate als Ersthelfer zu einem Autounfall.
  • Mein Unternehmen gerät in eine Schieflage, die meine Existenz bedroht.

Wechseln wir auf die Perspektive einer Unternehmerin. Wenn man genauer hinschaut erkennt man, dass hier die gleichen Prinzipien angewandt werden können. Die Corona-Krise dient aus aktuellem Anlass als anschauliches Beispiel, da sie viele Unternehmen hart getroffen hat und nicht wenige in deren Existenz bedroht. Die Umsätze brechen unvermittelt massiv ein, die Planungssicherheit ist per du, die Mitarbeiterinnen sind nicht mehr greifbar oder erleiden einen massiven Produktivitätseinbruch durch gar nicht oder schlecht geplantes Homeoffice. Die Hausbank ist plötzlich reservierter und vorsichtiger bei der Kreditvergabe, und die zusätzliche Bürokratie belastet die Arbeitslast wesentlich. Man befindet sich also in einer unternehmerischen Extremsituation. Diese Erfahrung haben viele in den letzten Monaten gemacht.

Man könnte nun panisch losrennen und planlos auf alles reflexhaft reagieren, was da so daherkommt. Man ist – um sich der Laiensprache zu bedienen – im Blindflug unterwegs. Die Erfolgschancen für dieses Handeln sind sicherlich begrenzt und möglicherweise entsteht sogar noch mehr Schaden.

Wenn man andererseits aber die gleichen Prinzipien anwendet, nach denen Piloten für Extremsituationen ausgebildet werden, verbessern sich die Chancen, die Kontrolle wiederzuerlangen deutlich und somit auch die Möglichkeit, gestärkt und kompetent aus der Krise hervorzugehen. Wenn das Unternehmen nicht bereits Vorkehrungen getroffen hat, so hat es nun zumindest gelernt, in Zukunft vorbereitet zu sein. Durch die Simulation von Szenarien kann man erarbeiten, welche Strategien ein Unternehmen bei zukünftigen Krisen besser aus dieser heraussteuern lassen. Die emotionale Distanzierung von der Entscheidungsebene, also die Nerven zu bewahren und in Ruhe zu reflektieren, hilft uns zu vermeiden, reagieren zu müssen. Man schafft sich die Möglichkeit zum kontrollierten Handeln.

Der/Die Unternehmerin ist der Pilotin seines/ihres Unternehmens. Daher ist es essentiell, dass auch er/sie darauf geschult ist, mit Extremsituationen souverän umgehen zu können.